Sonntag, 11. Januar 2015

Je suis Charlie und die Sprachlosigkeit

Sprachlosigkeit. Ja, deshalb melde ich mich so spät zu Wort zu dem Thema, das keinen Journalisten kalt lassen kann. Ausgerechnet in dem Moment, in dem wir alle besonders laut unsere Stimme erheben müssen, fehlen mir die Worte. Mir fehlt auch die Vorstellungskraft, wie es sein muss, in der Redaktionskonferenz zu sitzen - und plötzlich stürmen Maskierte mit Waffen herein und eröffnen das Feuer. Ich kannte die Satirezeitung Charlie Hebdo, ein französisches Kultblatt, bisher gar nicht.

Dieser Blogeintrag ist also so etwas wie meine persönliche Bankrotterklärung. Ich bin kein politischer Journalist. Von Berufs wegen verfolge ich die Nachrichten und bin damit vielleicht politischer als der Durchschnitt der Bevölkerung. Aber meine Stärken sind die "weichen" Themen: Kultur, Natur, Soziales - auch wenn natürlich die Politik in alle Bereiche hineinspielt. Die wichtigste Aufgabe des Journalismus - der Politik auf die Finger schauen, zu kritisieren, Missstände aufzudecken und anzuprangern - überlasse ich gerne kompetenteren Kollegen. Ich könnte mir nie vorstellen, als Kriegsfotografin oder -berichterstatterin in Krisengebiete zu reisen.

Jetzt aber ist das Krisengebiet direkt vor unserer Haustür. Überall. Plötzlich macht sich die "Zeit-Online"-Redaktion darüber Gedanken, dass ihre Redaktion in Berlin eine Glaswand hat. Niemand kann dabei unpolitisch bleiben. Aber es fällt mir schwer, meine Meinung in Worte zu fassen, weil es momentan so viele kluge Analysen und pointierte Satiren darüber gibt. Selbst damit, "Je suis Charlie" ganz unbefangen zu teilen, tue ich mich schwer, weil ich weiß, dass ich nie so in der Schusslinie stand oder stehen werde. Ich kann auch nicht zeichnen, um so meiner Wut Ausdruck zu verleihen. Klar ist:

1. Fanatiker aller Art sind gefährlich.
2. Religionen scheinen besonders viele Fanatiker hervorzubringen. Der Islam hat da kein Patent drauf.
3. Kein Gott, gerade wenn er so allmächtig sein sollte, kann ernsthaft wollen, dass solche beschränkten Kleingeister in seinem Namen töten.
4. Selbst die Glaubensbrüder sagen, dass solche Anschläge nicht mit dem Islam als Religion zu vereinbaren sind: http://grenzverkehr.blogspot.de/2014/11/glaube-vorurteile-is-ein-konvertierter.html
5. Satire muss nicht gefallen. Meinungsfreiheit verteidigt man gerade da, wo man selbst nicht übereinstimmt. Die "Titanic" wurde vom deutschen Presserat wegen einer Karikatur zum Missbrauchskandal in der katholischen Kirche gerügt. Deshalb war es trotzdem ein gutes und wichtiges Titelbild.
6. An alle Neo-Nazis, die jetzt schreien: "Wir dürfen unsere Meinung aber nie sagen!" - doch, dürft ihr. Aber wenn ihr dabei andere verletzt, müsst ihr auch die Konsequenzen tragen (s. Rüge vom Presserat). Alle, die immer mit "Das wird man ja wohl nochmal sagen dürfen" kommen, meinen, Meinungsfreiheit hieße, man könne seinen ganzen Müll unangefochten verbreiten. Aber die Diskussion ist Teil der Demokratie. Waffengewalt ist es nicht.
7. Fanatiker und unaufgeklärte Mitläufer auf der Suche nach einfachen Lösungen wie Pediga versuchen nun, diese schreckliche menschliche Tragödie für ihre Zwecke zu missbrauchen.
8. Umso wichtiger sind solche Demonstrationen wie gestern in Dresden.Ich wäre gern hingefahren, wenn ich nicht mit Bronchitis ans Bett gefesselt wäre.
9. Jetzt in blinden Aktionismus zu verfallen und unliebsame Gesetze wie die Vorrtsdatenspeicherung durchdrücken zu wollen, ist billig und nutzlos. Frankreich HAT die Vorratsdatenspeicherung - und?

Andere Menschen haben das viel eloquenter ausgedrückt. Deshalb hier eine Sammlung meiner persönlichen Favoriten:
- der unsterbliche Kurt Tucholsky: Satire darf alles!
- der Meister der Beleidigung, Oliver Kalkhofe über die "buckelnden, schleimenden Anhänger, welcher Religion auch immer"
- stracks geraderaus für Jugendliche erklärt: LeFloid
- an die "Lügenpressehasser": Bernd Ulrich
- Niemand kann so weitermachen wie bisher: Alice Bota
- Der Mensch hinter der Zeitschrift: Chefredakteur Charb
- Je suis Charlie weltweit
- Nur ein kleiner Ausschnitt: die Reaktion der Karikaturisten

Mehr gibt es nicht zu sagen.