Donnerstag, 29. Januar 2015

Integrationstest für Deutsche: Was können WIR tun?

Die Flüchtlingswelle rollt weiter. Und während sich Pegida erfreulicherweise selbst zerlegt, zeigen immer mehr Menschen Gesicht für ein weltoffenes, tolerantes und mitfühlendes Deutschland. Was mich besonders freut: Während in den vergangenen Jahren hauptsächlich darüber diskutiert wurde, was Zuwanderer mitbringen müssen, um sich in Deutschland zu integrieren, kommt jetzt das Thema auf den Tisch, was wir, jeder einzelne von uns, tun können, um ihnen die Integration zu erleichtern.

Die Politik redet da vor allem vom Deutschlernen und das ist natürlich ein guter Anfang. Seit Jahren kämpfen Verbände genau dafür - dass auch diejenigen einen Anspruch auf einen Deutschkurs haben, deren Aufenthaltsstatus in Deutschland noch nicht geklärt ist. Asylbewerber haben Monate, sogar Jahre in irgendwelchen Heimen gesessen und kaum Betreuung erhalten - abgesehen von besonders engagierten Ehrenamtlichen. Von denen gibt es nun immer mehr, ob Sportvereine internationale Trainings anbieten, lokale Wirte ihre Gästezimmer zur Verfügung stellen, Bürger Kleidung, Decken und Hausrat spenden, pensionierte Lehrer Deutsch unterrichten, es gibt immer mehr wunderbare Aktionen, schnell und unkompliziert, ohne auf langwierige politische Entscheidungen zu warten.

Danke schön! Danke an alle, die sich da engagieren.

Denn bei allen tollen "Maßnahmen" ist eins nicht zu ersetzen: Das Gefühl, willkommen zu sein. Dass sich jemand um einen sorgt und einem helfen möchte, selbst wenn er die Sprache nicht spricht. Bei der jüngsten Schwedter Mahnwache hatdas Bündnis gegen Fremdenfeindlichkeit die Nachbarn in den Plattenbauten dazu aufgerufen, einfach mal vorbeizugehen, wenn sie mitkriegen, dass eine Flüchtlingsfamilie einzieht. Einfach zu klingeln und zu fragen, ob sie was brauchen. Als ich in meine Wohnung zug, hat eine Nachbarin aus dem Aufgang übrigens genau das getan. Hier in Schwedt werden die alten Hausgemeinschaften tatsächlich noch gepflegt. Deshalb hoffe ich, dass das auch mit den Flüchtlingen klappen wird.

Ich bin auch nicht endgültig gefeit vor der deutschen Zurückhaltung. Aber ich kämpfe stets dagegen an, biete Austauschstudenten und hilflosen Bahnreisenden meine Hilfe an und habe auf diese Weise noch viele wunderbare Begegnungen mit tollen Menschen gehabt.

Freitag, 16. Januar 2015

Schwedt 10:1 gegen Nazis und Dummheit - eine Mahnwache

Endlich kommt die bislang schweigende Masse aus dem Sessel hoch, statt Pegida und Konsorten die Straße zu überlassen! In ganz Deutschland gibt es Demonstrationen und Mahnwachen von Menschen, die zeigen wollen, dass wir kein Land von engstirnigen Spießern sind, die aus dumpfen Ängsten heraus einen Sündenbock und einfache Lösungen suchen, die nur in den Köpfen rechter Spinner existieren. Ich habe zwar keine Umfrage unter Pegida-Anhängern gemacht, um meine Theorie zu bestätigen, aber die Untersuchung, die die TU Dresden durchführte und die so viel Aufmerksamkeit erregte - "Pegida-Anhänger sind gebildet und verdienen gut" -, ist ja auch nicht repräsentativ, wie Stefan Niggemeier sehr schön erklärt.

Auch in Schwedt gab es heute eine Gegendemonstration des Bündnisses gegen Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und Rassismus. Wobei das eigentlich zu viel gesagt ist. In der Rosa-Luxemburg-Straße kam gerade mal ein Dutzend rechter Nasen zusammen, gerade genug, um ihre drei großen Bettlaken-Plakate festzuhalten. Vor der evangelischen Kirche dagegen tauchten zehnmal so viele Menschen zur Mahnwache auf.


Bürgermeister Jürgen Polzehl rechnete vor: 2,5 Prozent der Schwedter sind Ausländer, gut 80 Flüchtlinge aus Syrien hat man mittlerweile in Wohnungen über die Stadt verteilt untergebracht - und es sollen noch mehr werden. Von "Überfremdung" könne gar keine Rede sein. Die Menschen auf dem Platz erinnern sich noch gut an die Aufbauzeit von Schwedt: PCK-Raffinerie, Papierfabrik, Schuhfabrik, sie alle beschäftigten Menschen aus Vietnam, aus Ungarn, aus vielen Ländern. Kaum ein Schwedter heute ist Ur-Schwedter, die meisten sind Zugezogene in einer Stadt, die von 7000 Einwohnern nach dem Krieg auf 52.000 Anfang der 80er emporwuchs. "Die Mecklenburger und Sachsen haben sich am Anfang auch nicht verstanden in den Wohnunterkünften", erinnert sich ein Mann grinsend. Und umgekehrt, sagt die GEW-Chefin: Wie viele DDR-Bürger fanden vor 1989 Zuflucht in Westdeutschland? "Die wenigsten waren politische Flüchtlinge, sondern Wirtschaftsflüchtlinge. Was, wenn sie nicht aufgenommen worden wären?"

Die Flüchtlinge aktuell allerdings wollen nichts weiter retten als ihre Haut, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Mike Bischoff. "Niemand verlässt freiwillig seine Heimat." Durchquert die Wüste und fährt über das Mittelmeer in Booten, die dafür nicht ausgerichtet sind. Allein 2014 sind über 3000 Menschen dabei gestorben. Diesen Flüchtlingen zu helfen, gebietet allein der Anstand.

120 Menschen bei der Mahnwache - natürlich hätten es in einer Stadt mit 30.000 Einwohnern noch mehr sein können. Aber es ist ein Anfang, die Nazis mit 10:1 nach Hause zu schicken. Und es sind nicht nur die üblichen Engagierten gewesen, sondern auch einige jüngere Schwedter. Das ist wichtig. Vor allem bei der Vorgeschichte. 1996 wurde Schwedt im Spiegel groß zur braunen Stadt erklärt, ein Artikel, der sich heute noch im Netz finden lässt, auch wenn die Schwedter ihn gern vergessen würden. Ich habe mich mit ein paar Leuten vom Karthaus-Jugendclub unterhalten, die damals die Rangeleien mitbekamen. Das Karthaus galt als Sitz der linken Jugend und wurde regelrecht von Glatzen belagert - gab aber nicht klein bei.

Kurz bevor ich in die Oderstadt kam, hatte ein neuer Rassismus-Vorwurf die Runde gemacht: Der schwarze Ausländerbeauftragte Ibraimo Alberto, der als Musterbeispiel der Integration galt, war aus Schwedt "geflohen". Eine Geschichte, die schwer zu durchschauen ist. Ich habe Menschen getroffen, die sich als gute Freunde von Herrn Alberto bezeichnen (unter anderem aus besagtem Bündnis gegen Fremdenhass) und schockiert sind von den pauschalen und heftigen Vorwürfen - sie vermuten dahinter auch Journalisten, die alles etwas zuspitzen. Nicht, dass sie von "Lügenpresse" sprechen wollen - das ist der Terminus der Leute, die mit Pegida auf die Straße gehen.

Ich habe nicht den Eindruck, dass Schwedt besonders rassistisch ist - und zum Glück gibt es Menschen, die scharf aufpassen, um den Anfängen zu wehren. Aber wenn der Bürgermeister hinterhältige Kommentare zugetragen bekommt, weil das erste Schwedter Baby, das er im Jahr 2015 begrüßt, ein Flüchtlingskind ist, zeigt das, dass der Kampf nicht ausgestanden ist.

Ich habe mich mal mit einem jungen Mann aus Südafrika unterhalten, der einige Zeit in Schwedt verbrachte auf einem Austausch. Auch wenn er nie wirklich offenen Rassismus erfuhr (abgesehen davon, beim Stadtfest von Kindern angestarrt zu werden und zu hören, wie sie die Eltern fragen, ob das abfärbt), hatte er auch nie das Gefühl, wirklich daheim zu sein in Schwedt. Echte Freunde fand er in der Multikulti-Stadt Berlin. Das ist einfach traurig! Was können wir also tun, um Menschen zu zeigen, dass sie hier willkommen sind? Statt über Deutschtests für Ausländer zu reden, sollten wir darüber reden, was WIR tun können, um die Integration zu verbessern. Dann klappt's auch mit dem Nachbarn.




P.S. August 2015: Mittlerweile werden die Pläne für ein Flüchtlingsheim in Schwedt konkreter. Damit brechen auch leider die latenten Vorurteile durch, die doch in vielen Menschen drinstecken. Mehr dazu unter anderem in meinem neuen Blogbeitrag: "Heim nach Afghanistan"

Sonntag, 11. Januar 2015

Je suis Charlie und die Sprachlosigkeit

Sprachlosigkeit. Ja, deshalb melde ich mich so spät zu Wort zu dem Thema, das keinen Journalisten kalt lassen kann. Ausgerechnet in dem Moment, in dem wir alle besonders laut unsere Stimme erheben müssen, fehlen mir die Worte. Mir fehlt auch die Vorstellungskraft, wie es sein muss, in der Redaktionskonferenz zu sitzen - und plötzlich stürmen Maskierte mit Waffen herein und eröffnen das Feuer. Ich kannte die Satirezeitung Charlie Hebdo, ein französisches Kultblatt, bisher gar nicht.

Dieser Blogeintrag ist also so etwas wie meine persönliche Bankrotterklärung. Ich bin kein politischer Journalist. Von Berufs wegen verfolge ich die Nachrichten und bin damit vielleicht politischer als der Durchschnitt der Bevölkerung. Aber meine Stärken sind die "weichen" Themen: Kultur, Natur, Soziales - auch wenn natürlich die Politik in alle Bereiche hineinspielt. Die wichtigste Aufgabe des Journalismus - der Politik auf die Finger schauen, zu kritisieren, Missstände aufzudecken und anzuprangern - überlasse ich gerne kompetenteren Kollegen. Ich könnte mir nie vorstellen, als Kriegsfotografin oder -berichterstatterin in Krisengebiete zu reisen.

Jetzt aber ist das Krisengebiet direkt vor unserer Haustür. Überall. Plötzlich macht sich die "Zeit-Online"-Redaktion darüber Gedanken, dass ihre Redaktion in Berlin eine Glaswand hat. Niemand kann dabei unpolitisch bleiben. Aber es fällt mir schwer, meine Meinung in Worte zu fassen, weil es momentan so viele kluge Analysen und pointierte Satiren darüber gibt. Selbst damit, "Je suis Charlie" ganz unbefangen zu teilen, tue ich mich schwer, weil ich weiß, dass ich nie so in der Schusslinie stand oder stehen werde. Ich kann auch nicht zeichnen, um so meiner Wut Ausdruck zu verleihen. Klar ist:

1. Fanatiker aller Art sind gefährlich.
2. Religionen scheinen besonders viele Fanatiker hervorzubringen. Der Islam hat da kein Patent drauf.
3. Kein Gott, gerade wenn er so allmächtig sein sollte, kann ernsthaft wollen, dass solche beschränkten Kleingeister in seinem Namen töten.
4. Selbst die Glaubensbrüder sagen, dass solche Anschläge nicht mit dem Islam als Religion zu vereinbaren sind: http://grenzverkehr.blogspot.de/2014/11/glaube-vorurteile-is-ein-konvertierter.html
5. Satire muss nicht gefallen. Meinungsfreiheit verteidigt man gerade da, wo man selbst nicht übereinstimmt. Die "Titanic" wurde vom deutschen Presserat wegen einer Karikatur zum Missbrauchskandal in der katholischen Kirche gerügt. Deshalb war es trotzdem ein gutes und wichtiges Titelbild.
6. An alle Neo-Nazis, die jetzt schreien: "Wir dürfen unsere Meinung aber nie sagen!" - doch, dürft ihr. Aber wenn ihr dabei andere verletzt, müsst ihr auch die Konsequenzen tragen (s. Rüge vom Presserat). Alle, die immer mit "Das wird man ja wohl nochmal sagen dürfen" kommen, meinen, Meinungsfreiheit hieße, man könne seinen ganzen Müll unangefochten verbreiten. Aber die Diskussion ist Teil der Demokratie. Waffengewalt ist es nicht.
7. Fanatiker und unaufgeklärte Mitläufer auf der Suche nach einfachen Lösungen wie Pediga versuchen nun, diese schreckliche menschliche Tragödie für ihre Zwecke zu missbrauchen.
8. Umso wichtiger sind solche Demonstrationen wie gestern in Dresden.Ich wäre gern hingefahren, wenn ich nicht mit Bronchitis ans Bett gefesselt wäre.
9. Jetzt in blinden Aktionismus zu verfallen und unliebsame Gesetze wie die Vorrtsdatenspeicherung durchdrücken zu wollen, ist billig und nutzlos. Frankreich HAT die Vorratsdatenspeicherung - und?

Andere Menschen haben das viel eloquenter ausgedrückt. Deshalb hier eine Sammlung meiner persönlichen Favoriten:
- der unsterbliche Kurt Tucholsky: Satire darf alles!
- der Meister der Beleidigung, Oliver Kalkhofe über die "buckelnden, schleimenden Anhänger, welcher Religion auch immer"
- stracks geraderaus für Jugendliche erklärt: LeFloid
- an die "Lügenpressehasser": Bernd Ulrich
- Niemand kann so weitermachen wie bisher: Alice Bota
- Der Mensch hinter der Zeitschrift: Chefredakteur Charb
- Je suis Charlie weltweit
- Nur ein kleiner Ausschnitt: die Reaktion der Karikaturisten

Mehr gibt es nicht zu sagen.