Mittwoch, 30. April 2014

Rechtes Recycling

Heute hat die NPD einen Wahlkampfstand am Vierradener Platz in Schwedt aufgestellt. Ja, die Drei-Prozent-Hürde ist gefallen und die Rechten wollen sich am 25. Mai ins EU-Parlament wählen lassen. Die Ironie, dass eine Partei, die mit Sprüchen wie "Schluss mit der EU-Diktatur" geworben hat, jetzt Europa "mitgestalten" will, dürfte selbst diesen Nasen nicht entgehen, oder? Ist das irgendein wahnwitziger Plan, das Parlament zu infiltrieren, um es handlungsunfähig zu machen und zu zerstören? Es gibt ja Leute, die sagen, das ist gar nicht nötig - die wahren Strippenzieher in Europa seien eh die Lobbyisten.

Wenn dem so sein sollte, müssen wir uns um einen Rechtsruck wenig Gedanken machen, denn die Neonazis haben einfach zu wenig Geld, um sich Freunde zu kaufen. Dass die NPD seit Langem am Rande der Pleite herumknapst, ist kein Geheimnis. Und für den aktuellen Europa-Wahlkampf muss sie - wie die Republikaner auch - ihre alten Bundestags-Wahlplakate recyceln. Ist das nicht herrlich, dass sie sich auch noch gegenseitig die Wählerschaft wegnehmen? Am Stand des Schwedter Bündnisses gegen Fremdenfeindlichkeit gegenüber herrschte auf jeden Fall erheblich mehr Publikumsverkehr.

2011 ist Schwedt  unrühmlich durch die überregionalen Medien getrieben worden, als der ehemalige Ausländerbeauftragte Ibraimo Alberto Schwedt verließ, angeblich auf der Flucht vor rassistischen Übergriffen. Die Lokalredaktion der Märkischen Oderzeitung zeichnete in etwas differenzierteres Bild. Ich kann aus eigener Erfahrung nur sagen: Eine Woche nachdem ich nach Schwedt gezogen war, wurde ich nachts von Geschrei geweckt: Irgendwer skandierte draußen auf der Straße Naziparolen. Es klang wie eine ganz Horde, aber als ich vorsichtig durch den Rolladen spähte, sah ich zwei junge Kerls, so besoffen, dass sie keine zehn Meter laufen konnten, ohne hinzufallen. Seither habe ich nur noch mit Schwedtern zu tun gehabt, die sich für den Erhalt des jüdischen Ritualbads einsetzen oder Anti-Rassismus-Konzerte organisieren.

Einige Medien verfahren im Zusammenhang mit Rechtsextremen nach dem Motto: Keine Plattform bieten, heißt: am besten komplett ignorieren. Falsch, sagen Politik-Forscher, und empfehlen stattdessen,  kontinuierlich über die Aktivitäten der Rechten zu berichten und sie - zum Beispiel mit Artikeln aus der Sicht von Opfern - richtig einzuordnen, statt sich von ihnen die medienwirksamen Skandale im Wahlkampf vordiktieren zu lassen. Karikaturisten und Kabarettisten gehen noch weiter und machen die Nazis zur Lachnummer. Hatte Walter Moers 2006 mit seinem "Bonker" noch eine Diskussion ausgelöst, ob man über Hitler lachen darf, ist es heute gang und gäbe - und das zu Recht, wie ich finde. Das ist keine Respektlosigkeit gegenüber den Opfern, sondern hilft, einen Mythos zu demontieren. 

Der Großteil der Weimarer Bevölkerung empfand die "Machtergreifung" am 30. Januar 33 nicht als einen Wendepunkt in der deutschen Geschichte, als den ihn die Nazis selbst im Nachhinein hochstilisiert haben. "Weder Fackelzüge noch blumenreiche Hymnen in der nationalsozialistischen Presse vermögen etwas daran zu ändern, daß Hitler beim Zustandekommen dieser Regierung, die zu Dreivierteln aus Deutschnationalen besteht, eine ziemlich passive Rolle gespielt hat...", schrieb Erich Schairer am 5. Februar 1933 in seiner "Sonntagszeitung". Hat er Hitler unterschätzt? Klar! Aber gleichzeitig zeigt die Lektüre im Nachhinein, dass der "Führer" nicht von Walhalla eingeflogen kam, sondern zunächst einfach ein Politiker war. Einer, der das demokratische System nutzte, um an die Spitze zu kommen und es dann außer Kraft zu setzen. Genausowenig war die Presse im Dritten Reich allmächtig. Sie war komplett gelenkt, aber das wussten ihre Leser auch und mussten sie deshalb nicht ernst nehmen. 

Also, ich habe nichts dagegen, so oft und so laut wie möglich über Neonazis zu lachen. Der Angst keine Chance! 

P.S. Das Rätsel ist gelöst: Die Klicks aus Island - und mittlerweile auch Rumänien und Großbritannien - stammen von Freunden, die gerade in der Weltgeschichte herumgondeln. Na ja, dann verstehen sie wenigstens, was ich schreibe.

Mittwoch, 23. April 2014

Fremde Sprache

Halló hlustendur lesandi frá Islandi! Tatsache, meine Blog-Statistik zeigt zwei Seitenaufrufe aus Island. Das steht weit oben auf meiner Liste der Länder, die ich unbedingt noch besuchen will. Leider konnte ich nicht herausfinden, welches isländische Wort dem deutschen "Grenzverkehr" ähnelt, um in der Suchmaschine für Verwechslung zu sorgen. Vielleicht steht auch nur ein Server in Island. Die neun Aufrufe aus den USA möchte ich nicht direkt der NSA unterschieben, aber wenn doch: Have fun translating all this stuff for nothing!

Obwohl ich die englische Übersetzung noch einigermaßen hinkriegen könnte. Seit ich den Winter 2004/2005 in Montreal verbracht habe, lese ich viele Bücher im englischen Original. (Eines meiner Lieblinge, das nie ins Deutsche übersetzt wurde, ist "I see by my outfit" von Peter S. Beagle, bekannt durch das "Letzte Einhorn". Kein Wunder: Kaum ein Autor kann solch wundervolle und im Deutschen kaum machbare Sprachbilder erschaffen wie er.) Meinem Französisch hat der Besuch bei den "Québécois" leider gar nicht geholfen. Zum einen kann deren Dialekt sogar für Franzosen ein Problem sein. Zum anderen redeten die meisten Einheimischen - entgegen aller Unkenrufe - Englisch mit mir, um meinem Kampf mit der zweiten Fremdsprache auszuweichen. Und als sich herausstellte, dass der Verkäufer bei Subway absolut kein Englisch konnte, verlegten wir uns auf energisches Handgefuchtel: "The green stuff! The green stuff!"

Deshalb konnte ich mich nach sieben Jahren Schulfranzösisch wunderbar vor dem Sohn meiner Cousine blamieren, der im Elsass zweisprachig aufwächst. Mit drei Jahren erzählte er mir von den Erlebnissen mit seiner Tagesmutti und wechselte dabei fröhlich zwischen Deutsch und Französisch hin und her. Als ich ihn bat, sich auf ersteres zu beschränken, bekam ich einen Blick voll kindlichem Unglauben zu spüren: "Bist du doof!"

Mein Vertrauen in mein Fremdsprachentalent ist also eher erschüttert. Dabei würde ich aktuell gerne einen Polnischkurs besuchen. Es ist schon peinlich, wenn einem in der Grenzregion auffällt, wie viele Polen sich die Mühe machen, Deutsch zu lernen (laut Auswärtigem Amt über zwei Millionen Schüler) - und die Bereitschaft umgekehrt nicht annähernd so groß ist.

Ein guter Freund, Moritz, hat jüngst in einer Tankstelle auf der polnischen Seite der Oder eine tolle Anekdote erlebt:
Ein - offensichtlicher - Neonazi hat das billige Benzin im Nachbarland getankt und verlangt an der Kasse: "Un noch'n Eis."
Der Verkäufer: "Ich habe nicht verstanden."
"Ein Eis, wa?"
Eine Polin, die in der Schlange wartet, übersetzt: "To lód." Und zu dem Nazi, fast akzentfrei: "Sie könnten echt mal Polnisch lernen."

"Heldin des Tages", sagte Moritz dazu. Amen!

Donnerstag, 17. April 2014

Landmaus in der Hauptstadt

An der Kasse des Berliner Doms ist noch alles in Ordnung: Die Kassiererin unterhält sich mit einer Kollegin über "diese Person", eine gemeinsame Bekannte, die sie nie wieder mit Namen nennen will. Uns ignoriert sie weitgehend, während sie unser Geld annimmt.
Doch dann der Schock: An den Flügeltüren lächelt uns die Kartenabreißerin entgegen. "Wie geht es Ihnen heute?", fragt sie. Mein Bekannter und ich stutzen. In seinen Augen lese ich die gleiche Mischung aus Verblüffung und Misstrauen, die ich gerade empfinde: So viel Freundlichkeit ist man von Berlinern einfach nicht gewohnt. Ich stottere mich durch eine höfliche Antwort.
Später, in der Damentoilette neben der Hohenzollerngruft, ist mein Weltbild wieder gerade gerückt: Die Klofrau weigert sich, den Türsummer zu bedienen und die Kunden wieder rauszulassen, bis geklärt ist, wer die Plasteflasche in den Mülleimer geworfen hat. Nach Momenten des Zögerns gesteht eine Frau, ganz kleinlaut. "Das können Sie nicht, da kommt nur Papier rein", klärt sie die Schlüsselmeisterin auf und begutachtet das Corpus Delicti genauer. Dann sagt sie, doppelt empört: "Da kriegen Sie doch noch 25 Cent für!"

Ja, die Berliner Schnauze ist berüchtigt. Und eine Übersetzung allein hilft nicht, wenn man nicht auch seelisch und moralisch auf den meist dazugehörigen Tonfall eingestellt ist. Wie bei der Bäckerin, die einen Touristen, der ein Brötchen bestellt, aufklärt: "Det heißt hier Schrippe! Det üben wir nochmal!" Aber für mich ist diese direkte Art mit das Sympathischste an Berlin. Vor allem, weil sie mit einer guten Portion Selbstironie einhergeht. Noch nie habe ich bei einer Stadtführung (vom Wasser aus) so viele Witze gehört wie in der Hauptstadt ("Der Kindergarten für Kinder von Abgeordneten hat zwei Kuppeln, weil sich darunter so schön Märchen erzählen lassen, meinte der Architekt. Jetzt wissen wir, warum der Reichstag so eine große Kuppel hat", so der Guide.). So beginnt mir Berlin durchaus ans Herz zu wachsen.

Dabei stand unsere erste Begegnung unter keinem guten Stern. Klassenfahrt in der Zehnten, tagelang strömender Regen, eine Dauerbaustelle neben der anderen (der Umzug der Regierung von Bonn stand noch bevor), eine Freundin mit Liebeskummer, eine Jugendherberge gleich neben dem Straßenstrich... Nach nur zwei Tagen hatte ich als eingeschworenes Landei die Nase voll von Berlin. Ich kenne den Unterschied zwischen Stadtpark und echter Natur. Und das dichte Gedränge an Menschen zerrt an meinen Nerven, wenn die Intimdistanz in der U-Bahn auf eine Fingerbreite schrumpft. Noch heute atme ich einmal tief durch, wenn ich nach einem Tagesausflug wieder im Zug Richtung Schwedt sitze. Eigentlich darf ich das nicht zu laut sagen - denn ich kenne genügend Berliner, die ihre Stadt lieben, nie woanders leben wollen und empfindlich auf Kritik reagieren.

Dabei stellt sich allerdings die Frage: Welches Berlin lieben sie? Zusammengewachsen aus lauter kleinen Städten mit unterschiedlichem Flair, Spielknochen im Kalten Krieg, ist die Stadt noch heute getrennt in den "langweiligen Westen" und spannenden Osten - sagen zumindest meine gewöhnlich gut informierten Quellen. Der Ampelmann hat als Kultobjekt beide Seiten der Mauer erobert, die Wiedervereinigung der Straßenbeleuchtung ist geplant, aber umstritten. Und nein, ich fühle mich von dem Hütchen-Kerl nicht diskriminiert. Ich habe meine Pendelin befragt und die meint, es ist für meine Gesundheit besser, mich von dem roten Signal angesprochen zu fühlen.

Seit ich nach Brandenburg gezogen bin, entdecke ich nach und nach Berlins Vorzüge: Das älteste indische Restaurant, Antiquariate für englische Bücher, Kinos mit Filmen in Originalsprache, abgedrehte Spielplätze mit Streichelzoo und alternativem Kuchenverkauf, Blumentopf-Gärten auf ehemaligen Flughafengeländen, eine Kneipe mit Mittelaltermusik und einem künstlichen Bachlauf auf der Theke... Je mehr ich mich umschaue, umso mehr Dinge finde ich, die auch eine Landmaus begeistern können. Und auch die sieben Euro Eintritt in den Dom haben sich tatsächlich gelohnt. Nicht zuletzt wegen des beeindruckenden Ausblicks auf diesen wild-faszinerenden Flickenteppich von Stadt (siehe Titelbild des Blogs)!

Mittwoch, 9. April 2014

Deutschlands lebenswerte Regionen

Der Zollbeamte studiert meinen Personalausweis im Schein der Taschenlampe. "Geboren in Gießen, wohnhaft in Schwedt", liest er laut. "Was hat Sie denn hierher verschlagen?"
"Die Arbeit", sage ich.
"Ich dachte, hier gibt's keine Arbeit."

Ich war gerade das erste Mal mit meinem neuen UM-Kennzeichen nach Polen zum Tanken gefahren. Bei durchschnittlich 20 Cent Unterschied lohnt sich der kurze Weg über die Oder nach Krajnik Dolny. Und prompt wollte eine Kontrolle von mir wissen, ob ich Kanister vollgefüllt oder Zigaretten gekauft hatte. Mit meinem LM-Kennzeichen war mir das vorher nie passiert. Dabei könnte ich mir vorstellen, dass sich gerade Touristen nicht mit den Einfuhrbestimmungen aus anderen EU-Ländern befasst haben. Und die Episode spielte sich ab, bevor ganz Deutschland wusste, dass in Limburg gerne mit Geld um sich geworfen wird.

Ja, die Uckermark, einstige Heimat der Bundeskanzlerin, war 2012 tatsächlich der Landkreis mit der höchsten Arbeitslosigkeit. Darum dieser absolut ungläubige Tonfall? Als ich vor dreieinhalb Jahren vom Westen in den Osten aufbrach, warnten mich viele Bekannte, dass ich dort Vorurteilen gegenüber "Wessis" begegnen würde. Ein weiteres Vorurteil gegenüber den "Ossis", wie sich herausstellte. In einer Stadt, die seit der Wende permanent schrumpft, war die Reaktion der Schwedter, denen ich meine Herkunft enthüllte, eher positiv: Wow, da ist ein junger Mensch, der freiwillig hierher kommt. Und das auch noch aus dem Westen!

Umso mehr habe ich gelacht, als jüngst der Focus in einer Untersuchung Eichstätt zur lebenswertesten Region Deutschlands wählte. Das freut mich für meinen ehemaligen Studienort. Aber ausgerechnet Frankfurt an der Oder, meine erste Station im "wilden Osten", landete auf dem letzten Platz. Wie kann es sein, dass ich von der besten in die schlechteste Region ziehen musste, um einen Job zu kriegen? "Weil Journalisten von schlechten Nachrichten leben", kommentierte ein Bekannter lapidar. Touché!

Tatsächlich fühle ich mich im Osten Brandenburgs nicht weniger wohl als in Bayern. Und das liegt an dem Kriterium, das eine Region wirklich lebenswert macht: Freunde. So kann man auch die Botschaft des "Happy"-Videos deuten, das im Zuge des Hypes auch in Frankfurt-O gedreht wurde und fast zeitgleich mit der Focus-Studie rauskam. Fast wie eine Trotzreaktion. Und warum auch nicht?

Es gibt viele Missverständnisse zwischen Ossis und Wessis, zwischen Deutschland und Polen, zwischen West und Ost. Einem Pendler wie mir fällt das auf. Deshalb bin ich auf die Idee gekommen, alle, die es interessiert, an meinem kleinen Grenzverkehr teilhaben zu lassen. (Danke an Erich Kästner für den Titel.) Viel Spaß!